Als ich plante diesen Artikel zu schreiben , wußte ich noch nicht, dass es ein Erfahrungsbericht werden würde.
Der Tod ist das große Mysterium unseres Lebens, er ist das einzig sichere Ziel, das wir alle erreichen werden .
Bereits nach unserer Geburt beginnen wir wieder zu sterben, und denoch wollen wir uns nicht mit ihm auseinandersetzen. Fact ist, wir wissen nicht wann er anklopft, wir wissen nicht, wann sich das Tor zu einer anderen Welt für uns öffnet. Wer den Tod erfahren hat, wer erlebt hat, wie ein geliebter Mensch seinen letzten Atemzug gemacht hat, bekommt eine Ahnung davon, was es bedeutet wirklich alles loszulassen und er wird definitiv nicht mehr derselbe Mensch sein wie zuvor. Der Tod ist der große Transformator, sowohl für den, der ihn grade erfährt, wie auch für den Begleiter. Er kann der größte Lehrmeister für ein glückliches, angstfreies Leben werden.
Seit 20 Jahren suchte ich in den Augen von erleuchtenden Meistern, Avataren, und Geliebten das, was niemals stirbt, suchte die unendliche, bedingungslose Liebe. Ich verbrachte viele Monate in Indien, harrte stundenlang auf harten Boden aus, um in die Augen von Sai Baba zu schauen, sprach mit ihm in persönlichen Interviews, tanzte im Ashram von Osho, liess mir von ihm die Mala umhängen, zog mit meinem Yogi durch den Himalaya und hatte immer noch diese Sehnsucht in mir, die bedingungslose und unsterbliche Liebe zu spüren. Und nun habe ich sie gefunden, ich habe sie gefunden in den Augen meines sterbenden Mannes Claudio. Ich fühlte die bedingungslose Liebe, die nichts mehr fordert, sondern nur ist. Ich habe erfahren, dass es kein Tod und keine Trennung gibt. Es gibt einen toten Körper, aber kein Ende der Liebe.
Claudio war jahrelang sehr krank und ich hatte große Angst vor seinem Sterben , vor dem Augenblick des endgültigen Abschieds, Angst vor einem möglichen Todeskampf, vor Augen, die mich qualvoll anschauen, vor der Hilflosigkeit und der großen, unfassbaren Veränderung. Diese Angst hat mein Leben die letzten Jahre bestimmt. Ich lebte unter einer permanenten Anspannung und chronischen Magenschmerzen. Er war nicht bereit sich mit dem Sterben offen auseinanderzusetzen, erst zwei Wochen vor seinem Tod sprach er aus, dass er wohl sterben würde, gleichzeitig sagte er, er habe keine Angst, er sei nur traurig nicht noch länger leben zu können, die Sonne nicht mehr zu fühlen, den Mond nicht mehr aufgehen zu sehen. Ich war faziniert von seinem Umgang mit dem nun offensichtlichen baldigen Tod. Ein Mal verließ ich sein Zimmer, tief berührt von dem hinfälligen schwachen Körper und ging nach draußen in die wunderschöne Sternennacht und weinte, als ich ihn plötzlich laut rufen hörte, siehst du den gigantischen roten Mond, er ist so schön und ich bin glücklich. Ja, das erfuhr ich in den letzten Tagen seines Lebens immer wieder, sein Körper wurde immer schwächer, er konnte nicht mehr aufstehen, aber er sprach immer mehr davon , das er sich wohl fühlt und glücklich ist. Er hat akzeptiert, was ist und dem Tod keinen Widerstand entgegengesetzt. Wir hatten schöne Gespräche, unterbrochen von tiefen Blicken in unsere Augen, Blicke die sehr tief gingen, tief in die Seelenebene, wir weinten dann darum uns in dieser Form nicht mehr zu sehen, aber in diesen Blicken war auch eine Schönheit, eine tiefe Liebe und ein Wissen um die Unvergänglichkeit dieser Liebe. Unbedeutend wurden alle schwierigen Zeiten, die wir miteinander hatten, da waren einfach nur zwei Menschen, die sich in diesem Leben getroffen hatten, zwanzig Jahre miteinander verbracht haben und nun dabei waren sich für dieses Leben zu verabschieden.
Es kam der letzte Tag, von dem wir nicht ahnten, dass es der letzte sein würde.
Er wollte unbedingt aufstehen und für eine Zigarette nach draußen, wir packten ihn in einen Rollstuhl und dann wollte er sich in einem Spiegel sehen. Da er in den letzten Tagen wieder extrem schwächer geworden war, wollte ich es erst nicht, aber er blickte in den Spiegel, schaute sich genau an, ordnete seine Haare und sagte ganz cool, dieser Körper gehört nicht mehr zu mir.Im Nachhinein begriff ich, dass er sich in diesem Augenblick entschloß seinen Körper zu verlassen. Er war zu diesem Zeitpunkt in einer Klinik für palliative Medizin, einem sehr schönen Ort, wo er wunderbar umsorgt wurde, er in voller Lautstärke alle Musik hören konnte, die er wollte und ich wann immer da sein konnte. Tage zuvor hatte ich ihn gebeten, dabei sein zu dürfen, wenn er seinen Körper verläßt und er antwortet, ja, wenn die da oben mitspielen. Ich ging an diesem Tag nach hause, fühlte mich total erschöpft, am Abend telefonierten wir noch und zum Abschluß des Telefonates sagte er , schlaf gut, mein Engel. Das berührte mich, denn er sagte nie Engel zu mir.... Es war eine ganz spezielle Vollmondnacht . Ich saß in der Nacht draußen und schaute auf den roten, untergehenden Vollmond und bewunderte fallende Sternschnuppe. Gegen morgen verfiel ich in einen absonderlichen Tiefschlaf, aus dem ich immer wieder weinend erwachte. Als ich wieder einigermaßen zu mir kam, rief ich ihn gleich an, er antwortete nicht mehr, eine Schwester sagte es gehe zuende.
Tränenüberströmt stürzte ich ins Auto, voller Angst nicht mehr rechtzeitig bei ihm zu sein. Ich sauste mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit über die Autobahn, und rief ihm immer nur zu , warte bitte auf mich.
Und er wartete........die buddhistische Schwester saß bei ihm und begleitete ihn durch die Ablöseprozeße des Körpers, ich kam an, als gerade das Feuerelement in seinem Körper sich auflöste. Er lag sehr entspannt, den Kopf zu mir gewandt, atmete sehr ruhig. Jetzt war noch Gelegenheit etwas zu sagen, dachte ich mir, aber als ich neben ihm saß und seine Hand hielt und sein Gesicht streichelte, gab es nichts mehr zu sagen, als ich liebe dich. Nichts zählte mehr außer der Liebe und der Dankbarkeit. Dann ein tiefes Ausatmen, die Augen blickten nach oben, er drückte ein letztes Mal meine Hand und es war Stille, eine Stille wie ich sie noch nie wahrgenommen hatte. Der Körper, den ich so geliebt hatte, die Augen, die mich so oft angeschaut hatten, waren nicht mehr lebendig. Mein Körper schüttelte sich, meine Tränen flossen und erst fühlte ich nur Schmerz, dann, nach ca. einer Stunde, kam da ein anderes neues Gefühl, ein tiefer Frieden, ein unbeschreibliche Liebe und die Gewißheit, ich bin auch da, wo er jetzt hingeht, es trennt mich nur noch etwas Zeit davon. Es gibt keine Trennung, was macht es schon, ob es noch ein Jahr oder dreißig Jahre dauert, bis ich auch meinen Körper ablege.
Dann bekam er noch ein wunderbares Geschenk. Dorothea, eine Krankenschwester, die in spiritueller Sterbebegleitung im Sinne der ganzheitlichen Lehre des tibetischen Buddhismus ausgebildet ist – sie hatte ihn schon durch den Sterbeprozeß begleitet - machte noch ein tibetisches Sterberitual mit ihm, das eine ganz besondere,heilige und friedliche Stimmung schaffte. Es war, als würden wir Claudio nun eine Weile auf seiner Reise begleiten, um dann ins Leben zurückzukehren und den Satz: „Lernet zu sterben, und ihr werdet lernen zu leben!“ wahrhaftig zu erfahren
Die Tage danach vergingen wie in Trance, alles wirkte irgendwie irreal. Wir können den Tod nicht verstehen, ihn selbst eines Tages erfahren, ja, aber nicht verstehen. Mein Körper war in einer tiefen Erschöpfung, in einem schockähnlichen Zustand. Ich wechselte von tiefer Verzweiflung zu einer gewissen Leichtigkeit und Freude in einem dauerenden Hin und Her. Ich beschloß für zwei Wochen nach Korfu zu fliegen und traf dort wunderbare Menschen, die mir mit Massagen und Craniosacral Arbeit halfen meinen Körper aus dem Schock zu holen. Ich möchte hier eindringlich allen Menschen, die eine ähnliche Erfahrung gemacht haben, raten sich um ihren Körper zu kümmern, er braucht nach so einem Schock viel Zuwendung, denn ein Teil von uns geht mit dem Verstorbenen und der Körper braucht Unterstützung um das Geschehene zu integrieren. Der nächste Vollmond kam, ein Monat war vergangen und es veränderte sich etwas in meiner Wahrnehmung. Die Bilder des ausgemergelten Körpers, die immer wieder auftauchten, und die Gedanken, die mich wieder in die Vergangenheit zogen und mich sehr traurig werden liessen, verblassten und ein Gefühl der Freude und totalen Akzeptanz ,vom dem was gerade ist, entstand. Ich erlebte Augenblicke der totalen Päsenz wie nie zuvor und in diesen Augenblicken war kein Platz für Trauer, ich fühlte Claudio sehr freudig und wann immer ich an ihn dachte, hüpfte nun mein Herz vor Freude. Er sandte mir eindeutige Zeichen seiner Präsenz und ich war überglücklich so deutlich zu spüren, das er da ist, wahrscheinlich lebendiger als je zuvor. Mir ist klar geworden, das es die Emotionen sind, die mich immer wieder in die Traurigkeit gebracht haben, die Emotionen, die einen Körper brauchen, die abhängig waren von den Worten, den Augen und den Berührungen des anderen, die mich quälen mit Erinnerungen, an das was war und nie mehr sein wird und mit Selbstmitleid. Jetzt spürte ich wieder das, was nie vergeht, die bedingungslose Liebe, es ist schon fast eine ekstatische Liebe, die mein Herz auch noch mehr für die Menschen um mich herum öffnet, es ist als würde die Liebe von Claudio nun durch mich hindurchfließen und meine Liebesfähigkeit noch verstärken. Ich bin unendlich dankbar für diese Erfahrung, die mir die Angst genommen hat und mich die unendliche Liebe hat spüren lassen.
Es gibt keinen Tod und keine Trennung.